„Jetzt bin ich alt.“
Wenn man zu wenig Übung hat, sich erfolgreich um Wahrheiten herumzuschwindeln, dann bleibt einem dieser Satz irgendwann einmal nicht erspart. Und dann geht’s auf die Hochschaubahn der Gefühle. Zuerst Schockstarre – das darf doch nicht sein, jetzt ist alles vorbei. Dann Hilflosigkeit – was jetzt, kann ich wirklich nichts dagegen tun? Es folgen Trauer, Resignation, Verleugnung, Verzweiflung, Aufbegehren.
Es ist kein Trost, dass das Überschreiten dieser Schwelle in den Vorraum zum Nichts immer schon problematisch war – „lang leben will jeder, nur alt werden will keiner“, ätzte schon Johann Nestroy. Aber ausgerechnet jetzt, wo die Alten in Österreich wie im Rest Europas die beherrschende Bevölkerungsgruppe werden – ein Fünftel der wahlberechtigten Alpenrepublikaner ist jetzt schon über 65 –, finden wir uns eingeklemmt zwischen Jugendkult und Altersdiskriminierung.
Kosmetik-, Lebensmittel- und Pharma-Industrien machen ihr Milliarden-Geschäft, indem sie ihren Produkten die Zauberfloskel „Anti-Ageing“ voranstellen. Als ob man gegen das Verrinnen der Zeit nur ein Pülverchen schlucken oder ein Cremechen einreiben müsste. Wie tief diese Anti-Ageing-Ideologie schon ins Bewusstsein eingesickert ist, zeigt die traurige Tatsache, dass schon Zehnjährige zu Anti-Ageing-Cremen greifen. Eine Verirrung der Gefühle, die auch für die künftige Akzeptanz des Altwerdens nicht Gutes verspricht.
Politik, Werbung und Unterhaltungskultur bringen nicht genug Mut auf (oder unterschätzen uns Alte viel zu sehr), uns beim Namen zu nennen. Sie reden um den heißen Wahrheitsbrei herum und erfinden immer neue Beschönigungen: Mal sind wir die BestAger, dann die Golden Girls, die Silberrücken und die Grauen Panther – dabei sind wir einfach alt – na und?
Um kein Deut besser ist die Gruselbezeichnung „Senioren“, denn da schwingt Spott mit. Eigentlich hat man da nur eine Silbe vergessen oder unterdrückt: Seni-li-oren, das ist wohl gemeint.
Auch die Medien haben einen Weg zur Altersleugnung gefunden: „70 ist das neue 50“ ist die populäre positive Schlagzeile – vor drei Jahren war noch 60 das neue 40, zwei Jahre früher 50 das neue 30. Warum bitte nicht gleich: Alt ist das neue Jung?!
Ehrlich: Mir geht dieser verlogene Umgang mit den späten Jahren auf die Nerven.
Natürlich juble ich nicht darüber, alt zu sein. Aber es ist keine Katastrophe. Auch wenn mir bewusst ist, dass es in die Zielgerade geht, dass die Kräfte und die Gesundheit schwach und schwächer werden, dass ich abbaue – körperlich und geistig. Ich weiß, dass vieles nie mehr möglich sein wird.
Da stehe ich: mit viel zu vielen Gestern und viel zu wenig Morgen.
Alles richtig, aber: Ich habe das Heute! Und das will, das darf gelebt werden. Auch und besonders als Alte. Wie wunderbar!
